Diplomatie oder Desaster? Jeffrey Sachs über die Zeitenwende in den USA und die Rolle Deutschlands
Jeffrey Sachs, einer der einflussreichsten Ökonomen unserer Zeit, ist kein Unbekannter, wenn es darum geht, bestehende Narrative infrage zu stellen. Im Rahmen eines aktuellen Interviews sprach er über sein neues Buch "Diplomatie oder Desaster", die geopolitischen Spannungen zwischen den USA, Deutschland und Russland sowie die Notwendigkeit diplomatischer Lösungen. Besonders im Fokus stand dabei die Rolle Deutschlands in der Ukraine-Krise und die Abhängigkeit der europäischen Politik von den Vereinigten Staaten.
Die nachfolgende Zusammenfassung bezieht sich auf ein Interview, welches Jeffrey Sachs mit Jasmin Kosubek geführt hat:
Die Zeitenwende in den USA und Deutschland
Sachs betrachtet die aktuelle weltpolitische Lage als einen entscheidenden Moment. Während die USA unter Donald Trump eine neue politische Richtung einschlagen, stehen in Deutschland ebenfalls Wahlen bevor. In der EU wird zudem eine neue Kommission gebildet – viele Weichen werden neu gestellt. Laut Sachs ist jetzt der Moment, in dem Deutschland seine Außenpolitik unabhängig gestalten sollte.
Deutschland sei in den letzten Jahren ein verlängerter Arm der US-Politik gewesen, insbesondere im Hinblick auf die Ukraine-Krise. Sachs führt dies auf eine langfristige Strategie der USA zurück, die auf eine NATO-Osterweiterung abzielt. Er betont, dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich dieser Politik bedingungslos angeschlossen habe. Dies habe zu einer "Katastrophe" geführt, die vermeidbar gewesen wäre, wenn Deutschland eine eigenständige diplomatische Haltung eingenommen hätte.
Hätte Deutschland die Eskalation verhindern können?
Laut Sachs war bereits 2008 beim NATO-Gipfel in Bukarest klar, dass eine NATO-Erweiterung in Richtung Ukraine und Georgien provokativ gegenüber Russland sei. Damals war es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die gemeinsam mit Frankreichs Präsident Sarkozy versuchte, den US-amerikanischen Plan zu stoppen. Doch unter massivem Druck der USA gab sie letztlich nach – ein folgenschwerer Fehler, so Sachs.
Ein weiterer Wendepunkt war das Minsker Abkommen von 2015, welches der Ostukraine politische Autonomie hätte sichern sollen. Deutschland und Frankreich waren als Garanten dieses Abkommens involviert, ließen es jedoch zu, dass die USA und die ukrainische Regierung das Abkommen ignorierten. Merkel selbst habe später behauptet, es sei lediglich eine Verzögerungstaktik gewesen, um Zeit zu gewinnen. Sachs ist jedoch überzeugt, dass sie anfangs ernsthaft an eine diplomatische Lösung glaubte.
Fehlende Souveränität Europas
Sachs argumentiert, dass Europa seit Jahren blind der US-Politik folge, anstatt eine eigenständige Strategie zu verfolgen. Er fragt sich, warum Deutschland nicht mehr diplomatische Eigeninitiative gezeigt habe und ob eine eigenständige europäische Friedensstrategie überhaupt noch realistisch sei. "Europa wusste, dass diese Strategie gegenüber Russland hochriskant ist, aber niemand stellte sich den USA ernsthaft entgegen", kritisiert er. Dies sei nicht nur eine Frage geopolitischer Interessen, sondern auch eine Frage der moralischen Verantwortung gegenüber den Menschen in den betroffenen Regionen. Laut ihm hat diese Unterordnung unter die US-Politik entscheidend dazu beigetragen, dass die Ukraine-Krise eskalierte und nun bereits zehntausende Menschenleben gefordert hat. Sachs betont, dass es für Europa höchste Zeit sei, eine eigenständige diplomatische Rolle einzunehmen, um zukünftige Konflikte zu vermeiden.
Die Rolle der USA und das Problem der Arroganz
Einen zentralen Punkt seiner Argumentation widmet Sachs der politischen Elite der USA. Er beschreibt sie als "arrogant und selbstüberschätzt" – ein Verhalten, das sich über Jahrzehnte hinweg manifestiert habe. Nach dem Ende der Sowjetunion habe Washington beschlossen, als alleinige Supermacht zu agieren, ohne ernsthaft auf diplomatische Alternativen einzugehen. Statt einer kooperativen Weltordnung habe man sich für eine aggressive Expansion entschieden, was letztlich zu zahlreichen Konflikten geführt habe.
Besonders kritisiert er die Geheimhaltung und die Machtstrukturen in den USA. Die CIA (Central Intelligence Agency), eine der mächtigsten Geheimdienste der Welt, agiere oft im Verborgenen und beeinflusse geopolitische Entscheidungen ohne demokratische Kontrolle. Auch das Pentagon, das US-Verteidigungsministerium, spiele eine zentrale Rolle in der militärischen Expansion und sei oft involviert in verdeckte Operationen und strategische Einflussnahme. Zudem weist Sachs auf die NSA (National Security Agency) hin, die durch umfangreiche Überwachungsprogramme bekannt wurde und in der Vergangenheit Kritik für ihre fehlende Transparenz erhielt. Diese Institutionen operierten oft ohne echte Rechenschaftspflicht, was die demokratische Kontrolle der US-Politik erheblich einschränke. Sachs betont, dass echte Demokratie Transparenz und Rechenschaft verlangt – beides sei in der US-Politik oft nicht gegeben.
Könnte Trump den Ukraine-Krieg beenden?
Sachs zeigt sich optimistisch, dass Trump den Krieg in der Ukraine beenden könnte. Zwar gebe es Widerstand aus der US-Außenpolitik und dem sogenannten "Deep State", aber er glaubt, dass Trump nicht erneut Milliarden in den Konflikt investieren werde. "Alles, was er tun muss, ist ein Telefonat mit Putin, um eine diplomatische Lösung herbeizuführen", so Sachs.
Er geht sogar noch weiter: Sollte Trump eine Friedenslösung in der Ukraine finden, die Beziehungen zu China normalisieren und einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten ermöglichen, könnte er sogar mehrere Friedensnobelpreise verdienen.
Fazit: Europas Weg zu mehr Eigenständigkeit
Sachs' Analyse zeigt, dass Europa an einem Scheideweg steht. Entweder bleibt es weiterhin ein geopolitischer Vasall der USA, oder es entwickelt eine unabhängige und diplomatisch orientierte Außenpolitik. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass bedingungslose Unterstützung der US-Strategie oft zu Krisen führt. Die Zukunft liegt in diplomatischen Lösungen, nicht in Konfrontation.
Die Frage bleibt: Wird Deutschland aus diesen Fehlern lernen und eine neue, eigenständige politische Richtung einschlagen? Oder wird es weiterhin die Politik Washingtons ohne Widerspruch unterstützen? Die kommenden Monate könnten eine entscheidende Antwort darauf liefern.
Anhang
Jeffrey Sachs ist einer der weltweit führenden Ökonomen und eine prominente Stimme in der internationalen Politik. Als Professor und Direktor des Center for Sustainable Development an der Columbia University hat er zahlreiche Regierungen beraten und sich intensiv mit globalen Fragen wie nachhaltiger Entwicklung, Geopolitik und wirtschaftlicher Stabilisierung befasst. Er ist bekannt für seine kritischen Analysen der US-Außenpolitik und setzt sich für diplomatische Lösungen internationaler Konflikte ein.
Jasmin Kosubek, die Interviewerin, ist eine erfahrene Journalistin, die sich auf geopolitische Themen und investigative Berichterstattung spezialisiert hat. Sie ist bekannt für ihre kritischen Interviews und tiefgehenden Analysen aktueller weltpolitischer Entwicklungen. Mit ihrem journalistischen Ansatz hinterfragt sie etablierte Narrative und gibt Raum für alternative Perspektiven.
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