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Wie kleine trotzige Kinder?

Im Bundestag wird über die Lieferung weiterer Waffen, konkret des Taurus-Marschflugkörper-Waffensystems, beraten. Diese Frage ist hoch umstritten, da für die einen eine "Selbstverteidigung der Ukraine" mit allen Mitteln sichergestellt werden muss. Andere wiederum halten den Vorgang für gefährlich, da sie befürchten, Deutschland können so "aktive Kriegspartei" werden. Denn Taurus ist keine reine Defensivwaffe, sondern kann Ziele auch weit auf russischem Staatsgebiet angreifen.

CDU-Antrag

Die CDU-Bundestagsfraktion bringt am 13. März 2024 zum dritten Mal binnen kurzer Zeit einen Antrag in den deutschen Bundestag ein, mit dem die Regierung aufgefordert werden soll, das Taurus-Waffensystem (hierbei handelt es sich um gelenkte Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 500 km) an die Ukraine zu liefern. Bedingt durch die Attribute des Waffensystems, aber auch durch den Umstand, dass ein erfolgreicher Einsatz des Systems - zumindest anfänglich - kaum ohne die Unterstützung deutscher Soldaten bzw. des in Deutschland seinen Sitz haben Waffenlieferanten (MBDA) zu erreichen ist, befürchten Kritiker einer Lieferung des Systems an die Ukraine, dass Deutschland hierdurch zur aktiven Kriegspartei werden könnte und damit Deutschland selbst zum Ziel russischer Angriffe werden könnte.

Wie konkret diese Gefahr und begründet die Befürchtungen sind, hat der "Abhörskandal Taurus" gezeigt, bei dem hochrangige deutsche Militärs von Russland dabei belauscht wurden, wie sie über den Einsatz (u.a. Zerstörung der Kertsch-Brücke) und mögliche Unterstützungen der Ukraine beim Einsatz der Waffe diskutiert haben.

Hinzu kommen gerade aus der CDU-Fraktion, durch den verteidigungspolitischen Sprecher Roderich Kiesewetter, bedenkliche Äußerungen, die fordern, die Ukraine solle befähigt werden, mit den Marschflugkörpern den "Krieg nach Russland zu tragen", indem nicht nur rein militärische Ziele wie Munitionsdepots angegriffen werden, sondern auch Kommandostrukturen bis hin zu Ministerien ins Visier geraten. Dies könnte, so fürchten Kritiker dieser Haltung, den Konflikt verschärfen und entscheidend - im Sinne einer deutschen Kriegsbeteiligung - eskalieren lassen.

Kanzler und SPD dagegen

Bislang ist die Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz klar: keine Lieferung dieses Waffensystems an die Ukraine. Die SPD-Fraktion steht geschlossen zum Kanzler. In der Ampel-Koalition regt sich jedoch Widerstand. In der FDP-Fraktion zeichnet sich eine Gruppe von 10-12 Abgeordneten unter der Führung der als Waffen-Lobbyistin und Scharfmacherin geltenden Abgeordneten Strack-Zimmermann ab, die für den CDU-Antrag stimmen und damit die "Koalitionsdisziplin" untergraben will.

Auch bei den Grünen regt sich starker Widerstand gegen die Kanzler-Linie. Formell will man dort zwar den CDU-Antrag ablehnen. In Form einer "Persönlichen Erklärung" wollen sich aber viele Abgeordnete für eine Lieferung, mindestens aber für einen sog. Ringtausch aussprechen.

Die "Persöniche Erklärung" der Grünen

Im Folgenden wollen wir uns diese "Persönliche Erklärung von Abgeordneten zur Taurus-Frage" etwas näher anschauen, weil an ihr gut zu erkennen ist, warum sich die aktuelle Regierung so verhält, wie sie sich verhält. Und warum der aktuelle Kurs stramm in Richtung einer aktiven Kriegsbeteiligung Deutschlands weist.

Am Anfang steht ein Bekenntnis zu "langfristigem Frieden, Freiheit und Demokratie". Dies ist bemerkenswert, galt doch bei den Grünen früher das Mantra "Frieden schaffen ohne Waffen" und "keine Waffen in Kriegsgebiete". Nun wollen ausgerechnet Grünen-Abgeordnete, die selbst ganz überwiegend (oder gar ausschließlich?) den Wehrdienst an der Waffe aus "Gewissensgründen" verweigert haben, den Frieden dadurch sichern, dass man Waffen ohne Unterlaß in ein Kriegsgebiet liefert. Und dies nach dem Vorbild von EZB-Chef Mario Draghi aus der Eurokrise: "whatever it takes"!

Während es sich in der Eurokrise allerdings "nur" um Geld handelte, welches die EZB mit relativ geringen Kosten, nämlich um den Preis einer Vertrauenskrise in den Euro und einer steigenden, zukünftigen Inflationsrate, erreichte, geht es bei Waffen um Leben und Tod - um die Vernichtung von einmaligem und wertvollem Menschenleben.

"Bemerkenswerte Ziele"

Bemerkenswert sind auch die in der Erklärung genannten "politischen Ziele", die mit den Waffenlieferungen erreicht werden sollen. Für die Abgeordneten stehen nämlich nicht die Sicherheit Deutschlands und das Wohlergehen der deutschen Bevölkerung an erster Stelle, sondern es steht "das sichere und würdevolle Leben der Menschen in der Ukraine im Mittelpunkt".

Zudem:

  • "Ziel unserer Politik ist daher die Verteidigung ihrer Souveränität, die Befreiung aus brutalster russischer Besatzung und die Wiederherstellung der vollen territorialen Integrität der Ukraine"

    Mit anderen Worten: deutsche Politiker wollen die Souveränität eines anderen Staates, der weder Mitglied der Europäischen Union oder der NATO ist, verteidigen und die Ukraine "befreien". Die Wiederherstellung der territorialen Integrität bedeutet dabei auch, die Wiedereroberung der Krim, was nach Auffassung vieler Experten für Russland unannehmbar ist und im Zweifel wohl mit "allen Mitteln", auch durch den Einsatz von Atomwaffen, verhindert werden dürfte.

  • "Ziel unserer Politik ist daher die Wiederherstellung und Sicherung des Friedens in ganz Europa."

    Offenbar begründen hier die Abgeordneten ein europäisches Verteidigungsbündnis, welches formal aber nicht existiert. Die Frage ist, auf welcher "Geschäftsgrundlage" solche Ziele formuliert werden.

  • "Ziel unserer Politik ist und bleibt ein dauerhafter positiver Frieden in der Ukraine und damit in Europa, der Sicherheit, Freiheit und Wohlstand gewährleistet."

    Besorgniserregend ist, dass man auf Seiten der Abgeordneten offenbar bereit ist, zunächst Sicherheit, Freiheit und Wohlstand zu gefährden, ja sogar zu opfern, um das "abstrakte Ziel" eines "positiven Friedens" zu erreichen.

  • Entscheidend sei "ein Scheitern Putins" und "dass die Ukraine ihren Befreiungs- und Verteidigungskampf gewinnt"

    Wenn Putin der gefürchtete Diktator ist, wird er sich diesen Kriegszielen niemals beugen. Wenn "gewinnen" meint, dass Russland vollumfänglich verliert, wird sich der Konflikt absehbar verschärfen und entweder noch viel mehr Leid für die Ukrainer bedeuten. Oder Russland zum Einsatz von Waffengattungen zwingen, die bis zum Atomkrieg reichen können. Zudem wird immer wahrscheinlicher, dass Russland auch die Unterstützer der Ukrainer irgendwann "offiziell" als Kriegspartei betrachtet und möglicherweise durch Angriffe auf Ziele auf Nato-Gebiet den Nato-Bündnisfall auslöst.

Wer den Bündnisfall riskiert, riskiert einen Weltenbrand. Wer die Ukraine "vollständig befreien" will, der muss zu dem bereit sein, wozu die Alliierten auch im Zweiten Weltkrieg bereit waren: zum totalen Krieg.

Krieg und Demokratie

In dem Brief  heißt es. zur Erreichung der Ziele "braucht es die verlässliche, geschlossene und entschlossene Unterstützung unter Demokrat*innen". Schön gegendert, aber auch schöner Blödsinn. Denn es ist gerade das Wesen einer Demokratie, dass eine Unterstützung niemals "verlässlich" sein kann. Vielmehr zeichnet sich eine Demokratie genau dadurch aus, dass sich Positionen jederzeit und teils drastisch ändern können. Eine demokratische Regierung muss sich nicht nur anfänglich bemühen, eine Unterstützung der Gesellschaft zu erhalten, sondern muss diese auch dauerhaft aufrechterhalten. Wenn eine Politik aber Sicherheit, Freiheit und Wohlstand gefährdet, kann eine Unterstützung nicht verlässlich sein.

Tatsächlich hat schon jetzt diversen Umfragen zufolge die Bundesregierung für ihr Handeln nicht die Unterstützung der Wählerinnen und Wähler in Deutschland.

In einer Demokratie kann "dauerhafte Zustimmung" nicht gesichert werden, sondern höchstens "erzwungen". Das wiederum wäre aber nicht mehr demokratisch. Bedenklich ist gerade bei den aktuellen Fragen von Krieg und Frieden, dass unsere "Repräsentanten", die sich schon jetzt offensichtlich nicht mehr dem Mehrheitswillen und dem "deutschen Volke" verpflichtet fühlen, im Falle eines offiziellen Verteidigungsfalles auch durch das Volk nicht abgewählt werden können.

Denn gemäß Grundgesetz sind Neuwahlen bis sechs Monate nach Ende des Verteidigungsfallen ausgesetzt. Eine Regierung, die gegen den offensichtlichen Friedenswillen der Bevölkerung Deutschland in einen Kriegsfall manövriert, würde damit also mit "Machterhalt" belohnt. Eine gefährliche Anreizstruktur im gegenwärtigen Konflikt und innenpolitischen Umfeld!

Der Friedensplan

In dem Brief heißt es: "Wir unterstützen den Friedensplan von Präsident Wolodymyr Selenskji und der ukrainischen Regierung". Wer kennt einen solchen Friedensplan? Es gab bereits im April 2022 einen Friedensplan, der weitgehend sogar schon zwischen Russland und der Ukraine geeignet gewesen sein soll, dann aber u.a. durch eine Initiative des britischen Premierministers Boris Johnson torpediert wurde. Warum hat man nicht bereits vor zwei Jahren diesem Friedensplan eine Chance gegeben?

Der nun im Brief erwähnte "Friedensplan" ist  keiner, denn er beruht auf der Zielsetzung "die besetzten Gebiete einschließlich der Krym zu befreien und
ihre völkerrechtlich anerkannten Grenzen wiederherzustellen." Dies wird Russland unseres Erachtens nach nicht akzeptieren. Also verhalten sich die Ukraine und "unsere" Abgeordneten wie trotzige Kinder, die auf jedem Fall in ihrem Sandkasten-Spiel Recht behalten wollen.

Aber ist der Ukraine-Konflikt wirklich dazu geeignet, herauszufinden, ob sich das trotzige Kind oder "Väterchen Russland" durchsetzen werden? Es steht zu befürchten, dass noch viele Tränen fließen werden. Die meisten von unschuldigen Menschen in der Ukraine und Russland, die den Tod ihrer jungen Frauen und Männer auf dem Schlachtfeld betrauern müssen. An die Adresse der Abgeordneten des deutschen Volkes gerichtet: Es ist eure verdammte Pflicht dafür zu sorgen, dass Deutschland niemals wieder Teil eines bewaffeneten Konfliktes wird.

Unsere Söhne geben wir nicht. Nicht für euch, nicht für diesen Konflikt, nicht für die Ukraine und nicht gegen Russland.

Nie wieder ist jetzt!

 

Bundestag, Frieden, FDP, Politik, Bündnis90 / Die Grünen, CDU, SPD, Ukraine, Waffenlieferungen, Olaf Scholz, Anton Hofreiter, Marie-Agnes Strack-Zimmermann