Keine "Lex Covid-19" für Corona-Maßnahmen
In der "Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht" ist ein spannender Online-Aufsatz veröffentlicht worden. Der Autor, Rechtsanwalt Sebastian Lucenti, tätigt eine umfassende rechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung - das Ende des "verfassungsrechtlichen Tunnenblicks" auf staatliche Entscheidungen unter Unsicherheit.
"Der vorliegende Aufsatz bildet den Auftakt einer zweiteiligen Analyse der gerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung von Corona-Maßnahmen. Hierbei soll der Blick der Rechtsprechung für gewichtige – bislang aber unberücksichtigte – Sachverhaltsaspekte und deren zeitlicher Einordnung geschärft werden, die im Rahmen gerichtlicher Verfahren zu Coronamaßnahmen zu berücksichtigen sind. Er soll aufzeigen, dass der Gesetzgeber seinen staatlichen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum – entgegen den Entscheidungen des BVerfG vom 19.11.2021 („Bundesnotbremse I und II“), vom 2.2022 und 27.4.2022 („COVID-19-Impfpflicht I und II“) – längst überschritten hat. Eine Vielzahl von Rechtsgrundlagen für Coronaschutzmaßnahmen halten bereits aus einer Ex-ante-Sicht bei einer umfassenden Sachverhaltsauswertung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand. Dies gilt umso mehr bei einer sorgfältig durchgeführten gerichtlichen Beweisaufnahme."
Exkurs: Entscheiden unter UNsicherheit
Die verhaltensorientierte Kapitalmarktanalyse (Behavioral Finance), mein berufliches Spezialgebiet, beschäftigt sich ebenfalls sehr stark mit menschlichem Entscheidungsverhalten unter Unsicherheit. Im Herbst 2020 war ich der Ansicht, dass die politischen Entscheidungsträger vielfältigen Gefahren ausgesetzt waren, unter Unsicherheit falsche Entscheidungen zu treffen. Ich habe deshalb eine kleine Youtube-Serie damals produziert, welche sich mit den wahrscheinlichsten und folgenreichsten Wahrnehmungs- und Entscheidungsirrtümern beschäftigt, die auch in der Corona-Krise mutmaßlich wirksam waren. Diese Erkenntnisse habe ich auch versucht, unserem Landrat Michael Köberle nahe zu bringen. Immerhin erhielt ich einen knapp 30-minütigen Telefontermin, in dem mir der Landrat ausführlich darlegte, warum er "nur" Anweisungen exekutiert aber wenig Interesse an eigenen Erkenntnisgewinnen hatte.
Diese kleine Serie ist eines von vielen Beispielen, dass viele Fehlschlüsse und unrechtmäßige Grundrechtseingriffe seh wohl ex-ante selbst dann zu erkennen gewesen wären, wenn man sich der Beratung durch kritische Experten verweigert hatte. DIe Aufarbeitung der Corona-Zeit muss deshalb bei den damals Verantwortlichen politische und - in Einzelfällen - auch juristische Konsequenzen haben.
Auch ein aktuelles Video von Julian Reichelt legt einen Fokus auf das Thema "Verhaltenssteuerung". Sehenswert.
Coronamaßnahmen, Behavioral Finance, Rechtliches, Michael Köberle, Aufarbeitung