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Verrannt

Was für ein Zufall. Bereits am 23. Dezemeber nahm ich mir einen Artikel mit dem Titel "verrannt" zur Veröffentlichung vor. Auf dem Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart benutzte nun Bundesfinanzminister Lindner dieses Wort in seiner Rede. "Die Bauern haben sich verrannt", sie sollen umkehren. Fast schon pastorale Worte. In der Tat, viele im Land haben sich verrannt. Zeit zum Umkehren!

Kaum etwas könnte besser die aktuellen Probleme, die Spaltung unserer Gesellschaft, die arrogante Abgehobenheit der Regierung vom Volk und den undemokratischen Ungeist, welcher in der politischen Diskussion Einzug gehalten hat, in so wenigen Minuten zusammenfassen und einfangen, wie die Rede des FDP-Chefs Christian Linder. Hören wir zur Einstimmung eine wichtige Passage der Rede:

Was tun, wenn in einer Gesellschaft Fliehkräfte entstehen, die dazu führen, das wesentliche Gruppen unterschiedliche Wege gehen? Menschen und Gruppen entfremden sich voneinander. Eine Weile schaut man "zurück" auf die anderen. Man ruft ihnen vielleicht hinterher, fordert sie zum Umkehren auf. Doch der Abstand wird größer, die Wege entfernen sich immer stärker. Irgendwann hört man sich nicht mehr.

Eine Gesellschaft auf Wanderschaft

Stelle dir eine Wandergruppe vor, die gemeinsam aufbricht, einen Berg zu erklimmen. Es kommt zum Streit über den richtigen Weg. Die einen gehen "links herum", die anderen wollen nach "rechts". Wenn nur eine der beiden Gruppen sich auf dem "richtigen" Weg befindet, kommt die andere in eine Sackgasse, verläuft sich oder findet sich vor einem Abgrund wieder. Erst in einer solchen "Sackgasse" wird der Gruppe, die sich auf dem falschen Weg befindet, bewusst, was sie getan hat. Jetzt bräuchte man dringend die Unterstützung der anderen.

Stelle dir weiter vor, es gibt noch eine Verbindung zwischen beiden Gruppen, zum Beispiel über Funk. Und beide Gruppen rufen sich zu, die jeweils andere solle doch zu ihr kommen. Eine absurde Vorstellung für die auf dem rechten Weg. Allenfalls um der Gruppe auf dem falschen Weg aus Not zu helfen, würde es Sinn machen, dass sich die "richtige Gruppe" zu ihnen auf den Weg macht. Doch diejenigen, die sich verrannt haben, sind uneinsichtig und beharren auf ihrem Standpunkt.

In Deutschland hat sich keine Wandergruppe aufgeteilt. Die Gesellschaft hat sich gespalten. Mehr und mehr wird deutlich, dass sich große Teile der Gesellschaft auf sehr unterschiedlichen Wegen befinden. Viele wollen den "einen Weg", der von der Regierung aktuell beschritten wird, nicht mehr mitgehen. Sie sind bereits "nach rechts" abgebogen oder bleiben auf dem bisherigen "linken Weg" einfach stehen und weigern sich weiterzugehen.

Die Leithammel an der Spitze der "linken Bewegung" rufen immer wieder: "vorwärts immer, rückwärts nimmer". Doch die Zweifel über den richtigen Kurs werden immer größer. Das Wetter wird von Tag zu schlechter, die Rationen knapper, der Gipfel ist nicht in Sicht - mehr noch, das Ziel der Reise kann von den Protagonisten an der Spitze noch nicht einmal mehr benannt werden. "Der Weg ist das Ziel" ist jedoch als Parole zu wenig, wenn die Kräfte erlahmen.

Regierung ohne Volk

Ungefähr so dürften es derzeit viele im Land empfinden. Verraten und verkauft von Leithammeln, die die Orientierung verloren haben. Schlimmer noch: erst jetzt erkennen viele, dass die einst erfahrenen Leithammel auf dem Weg durch eine neue Generation abgelöst wurden. Diese hat sich jedoch nie zuvor in solchen Prüfungen bewährt. Sie kennen die Wanderstrecke allenfalls aus dem Hörsaal, meist jedoch noch nicht einmal das.

Das ist tragisch. Denn dadurch tun diese "Führungskräfte" nicht, was aktuell geboten wäre: innehalten, sich versuchen neu zu orientieren und eventuell Rat bei denen suchen, die sich schon lange zuvor geweigert haben, den Weg weiterzubeschreiten, weil man offenkundig dabei war sich zu verlaufen. Stattdessen holen die politischen Vorturner nun "die (verbale) Peitsche" hervor. Sie verlieren ihren menschlichen und demokratischen Kompass und versuchen die Bürgerinnen und Bürger unter Drohung und Einschüchterung zum Weitergehen zu bewegen.

Mit demokratischen Grundsätzen, mit Respekt vor der individuellen Freiheit und der eigenen Erkenntnisfähigkeit des Menschen hat dieses Gebaren nichts mehr zu tun. Deshalb schmerzt es auch besonders, wenn man Worte, wie die eines Christian Lindner, aus dem Mund von sogenannten "Liberalen" und "freiheitlichen Demokraten" vernehmen muss.

An vielen wichtigen Weggabelungen der letzten 15 Jahre ist die aktuelle "politische Klasse" falsch abgebogen, wie erst jetzt viele erkennen:

  • Wehrpflicht? Abgeschafft ohne Not, soll jetzt wiederkommen.
  • Bildungsmisere und PISA-Absturz, Pflegenotstand und Abbau des Gesundheitswesens, demografische Lücke und Überalterung - vieles wurde erkannt, keines dieser grundlegenden Probleme wurde bisher auch nur im Ansatz zielführend adressiert.
  • Atomausstieg nach Fukushima? Angstreaktion der Kanzlerin auf die Katastrophe nach einem Tsunami in Japan. Nun fehlt uns der (Atom)-Strom.
  • Euro-Rettung und die "Bewältigung" der Finanzkrise haben zu einer Zombifizierung der Wirtschaftslandschaft, Nullzinspolitik und nun Inflation geführt. Die Folgen werden mehr und mehr sichtbar.
  • Grenzöffnung für Flüchtlinge: Aus der Willkommenskultur mit Teddybären ist ein Einreise-Albtraum geworden. Statt kontrollierter Zuwanderung von Fachkräftten erleben wir die unkontrollierte Einwanderung von meist unausgebildeten, teils gewaltbereiten Menschen aus archaischen Gesellschaften mit unabweisbaren Folgen für die innere Sicherheit.
  • Die rekordhohen Steuereinnahmen werden für einen Ausbau des Sozialsystems ("Bürgergeld") missbraucht, der überwiegend neu zugezogenen Menschen zugute kommt. Gleichzeitig wird immer mehr Geld mehr oder weniger sinnvoll im In- und (zunehmend) Ausland verteilt. Ob "Fahrradwege in Peru", die "Taliban in Afghanistan" oder "Entwicklungshilfe für den Welt-Champion China" - die Liste der Projekte, in denen Deutschland die Spendierhosen anhat, scheint unendlich.
  • Nie zuvor wurde die Wissenschaft so missbraucht, wie in der Corona-Zeit. Nie zuvor hat sich die politische Klasse für die ökonomischen Interessen einer Branche so vor deren Karren spannen lassen und dazu in einer zuvor unvorstellbaren Art und Weise in die Freiheits- und Grundrechte der Bürger eingegriffen. Der "Rausch der exekutiven Macht" in den Corona-Jahren hat nun anscheinend den Charakter einiger wesentlicher Vertreter der politischen Klasse nachhaltig verändert.
  • Und dann das Klima! Der wichtige Schutz der Umwelt und unserer Lebensgrundlagen hat sich zu einer sektenhaftigen Religion verselbständigt. Die Luft, genauer gesagt ein Spurengas, ist zur "sprudelnden" Einnahmequelle (Wortspiel, muss man um zwei Ecken denken) einer ideologisch verblendeten Splittergruppe im Land mutiert. Heilsbringende Windkraftanlagen schreddern ganze Tierarten, zerstören unseren wichtigsten CO2-Speicher - unsere Wälder. Solaranlagen pflastern ganze Freiflächen zu. Statt Gras, Heu oder Nahrungsmittel wird nun Strom versucht zu erzeugen, der mit anderen Technologien effizienter gewonnen werden könnte und nicht den "Backup" durch Kohlestrom benötigen würde.
  • In der Außenpolitik liefern die einstigen Wehrdienstverweigerer aus den 80er Jahren heute Waffen in Kriegsgebiete, erklären Russland im Vorbeigehen den Krieg und schauen tatenlos zu, wie die eigenen Freunde milliardenteure Infrastruktur in der Ostsee wegbomben.
  • Und last but not least wird mit Genderismus und Frühsexualisierung, mit der Überbetonung queerer Lebensweisen und der ideologischen Leugnung biologischer Geschlechtsidentitäten, mit Cancel Culture und einer Sprachhygiene nach ideologischen Prinzipien die kulturelle Identität und das kulturelle Erbe angegriffen.

An jeder dieser "Weggabelungen" sind Menschen den politischen Führungsfiguren in diesem Land nicht mehr gefolgt. Sie blieben stehen oder bogen ab. Sie riefen eine zeitlang der Wandergruppe hinterher, sie möge umkehren, stoppen, auf sie hören - vergebens. Jedes Mal. Jedes verdammte Mal, als Menschen mit gesundem Menschenverstand, Fachkenntnis, logischem Denkvermögen und - vor allem! - fehlenden eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen die Stimme erhoben hatten. "Rächts, rechts, radikal, Nazi" schalte es diesen Menschen entgegen. Eine Verharmlosung der Gräueltaten der echten Nazis ist das.

"Sie haben sich verrannt", sagt Christian Lindner. Nur wer hat sich tatsächlich verrannt? Das kommt auf den Standpunkt des Betrachters an. Verrannt hat sich scheinbar immer nur der andere. Verrennen kann man sich. Wichtig ist, dass sich jede und jeder prüfen muss und gegebenenfalls seinen Weg zu korrigieren hat. Wer hat nun Recht? Wer läuft auf dem richtigen Weg? Das wird die Realität als ultimativer Richter entscheiden. "Du kannst die Realität ignorieren. Aber du kannst nicht die Konsequenzen aus dem Ignorieren der Realität ignorieren", formulierte es einmal die amerikanische Ikone des Libertarismus, Ayn Rand.

Für die meisten Menschen verändert sich die Realität in einer anderen Weise, als es uns die Leithammel der politischen Klasse glauben machen wollen. Das Erleben im Alltag ist ein anderes. Klima wird als Wetter wahrgenommen, Zuwanderung als gewaltbehaftete Bedrohung und Überfremdung. Wirtschaftliche Prosperität wird als Inflation und Verarmung der Mittelschicht, staatliche Fürsorge als bürokratische Gängelung und Enteignung empfunden. Die sozialistische Verheißung einer "Kultur des Weniger" ist kein Versprechen mehr auf einen besseren Umgang mit unseren Lebensgrundlagen und eine Verbesserung der Lebensumstände von uns allen, vor allem aber unserer Kinder. Es ist zur ultimativen Bedrohung unserer zivilisatorischen Errungenschaften geworden.

Neuanfang

Ja, wir wollen eine andere Politik.

Ja, wir wollen andere Politikerinnen und Politiker. Die (aus)-gebildet, dem Allgemeinwohl verpflichtet, charakterstark und empatisch sind. Die den Bürgern dieses Landes, den Deutschen und dem gesamten deutschen Volk zugewandt sind.

Ja, dafür brauchen wir ein "anderes System". Das meint nicht eine andere Regierungsform. Das Grundgesetz ist in dieser Hinsicht "perfekt". Aber wir brauchen eine Stärkung der bürgerlichen Mitbestimmung. Wir brauchen eine effektive Interessenvertretung der Bürger auch zwischen den Wahlen. Wichtige Gesetze solltem vom Volk in Volksabstimmungen bestätigt werden müssen, wie es in der Schweiz zum Beispiel üblich ist. Auf allen Gliederungen der Gesetzgebung!

Das Volk muss die Regierung und ihre Vertreter "kontrollieren" können, jedenfalls bis in den Parlamenten ausschließlich unabhängige und selbstbewusste Volksvertreter sitzen und handeln. Die Parteien müssen auf ihre Kernaufgabe reduziert werden. Parteien sollen an der "Willensbildung des Volkes mitwirken" und nicht dem Volk ihren (Partei)-Willen aufzwingen oder gar das Volk gegen dessen Willen entrechten. An dieser Stelle ist das "aktuelle System" derart dysfunktional geworden, dass es genau diese Parteien und deren Vertreter sind, welche unser Staatswesen inzwischen delegitimieren. Damit machen sich diese Politikerinnen und Politiker selbst zu Witzfiguren und werden vom Volk entsprechend nur noch verlacht. Wie weiland 1989 in der DDR. Nicht die Demokratie war damals delegitimiert, noch nicht einmal der Sozialismus - sondern die politische Klasse und deren vorgelebte Ausprägung von Demokratie und Sozialismus waren es.

Die überwiegende Mehrheit in diesem Land will den aktuellen (linksextremen) Politikern nicht mehr länger folgen. Es reicht jedoch nicht, nur nach einer neuen Regierung zu rufen. Eine ganze politische Generation, ich nenne sie "Kaste", hat sich entlarvt. Sie ist reformunwillig und wohl auch reformunfähig. Wir brauchen einen kompletten Neuanfang, mit ganz neuem Personal. Mit einem neuen Charakter und Ethos. Mit einer neuen Gemeinwohlverpflichtung, mit Fachleuten und empatischen Führungsfiguren möglichst ohne eigene (zumindest wirtschaftliche) Interessen. Praktiker und Pragmatiker statt Ideologen und Karrieristen.

Dazu brauchen wir eine Reform unseres Grundgesetzes, welche unsere repräsentative, parlamentarische Demokratie stärkt. In dem sie das Parlament statt mit "Soldaten" der Partelisten mit bürgerlichen Persönlichkeiten, die in besonderer Weise ihren Wählern vor Ort verpflichtet sind, besetzt. Und in dem sie dem Volk die Möglichkeit gibt, seinen Willen bei wichtigen Fragen durch "Wahlen und Abstimmungen" auch zwischen offiziellen Wahlterminen zur Geltung zu bringen.

Man könnte es eine Revolution nennen, die wir benötigen. Ich nenne es einen demokratischen Neuanfang.

Demokratie, Rechtsstaat, FDP, Politik, Geldpolitik, Geopolitik, Parteien, Politikwechsel, Grundgesetz, Energiepolitik, Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik, Christian Lindner, Ayn Rand, Libertarismus