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Offener Brief an den Landrat Heiko Kärger (Neubrandenburg)

Der 9. November war schon oft ein Schicksalstag in der deutschen Geschichte. Dass aber ausgerechnet am Jahrestag des Falls der "Mauer", ein übereifriger Polizist zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Mecklenburg-Vorpommern eine neue innerdeutsche Zonengrenze durchgesetzt hat, scheint ein schlechter Scherz. Doch leider ist es traurige Realität.

Offener Brief an den Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte

Sehr geehrter Herr Landrat Kärger,

als zwei von ca. 75.000 Zuschauern eines Livestreams auf DLive wurden wir Zeugen eines einzigartigen und sehr bemerkenswerten Vorfalls. Auf der Grundlage einer Corona-Verordnung des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern wurde der Bus der Corona-Infotour mit fünf Insassen von der Polizei gestoppt und an der Weiterfahrt gehindert. Die Verordnung sieht vor, dass aufgrund der Pandemielage keine Reisen von Bürgern nach MV erlaubt sind, sofern man nicht in MV wohnt oder oder dort einen gemeldeten Zweitwohnsitz hat. Allerdings sieht diese Verordnung auch Ausnahmen vor, die jedoch für die Polizisten in der rechtlichen Beurteilung keine Rolle zu spielen schienen.

Der gesamte Vorfall ist hier einzusehen, sofern Ihnen der Vorfall nicht im Detail bekannt sein sollte: https://dlive.tv/p/samueleckert+ex3eUwhMR

Sehr geehrter Herr Kärger, wir möchten nicht im Detail einzelne Szenen hier wiederholen. Das Video spricht für sich selbst. Als wir das Video sahen, wussten wir nicht ob wir lachen oder weinen sollten. Es war jedenfalls Comedy und Krimi vom Feinsten und besser als jede Reality Show im TV. Jeder Regisseur, der den Plot dieses Abends zur Grundlage eines fiktionalen Films gemacht hätte, wäre wohl ausgelacht worden. Aber es ist keine Fiktion. Was wir im Video sahen, ist die Realität, die Realität in Ihrem Landkreis, in Ihrem Bundesland, in unserer freiheitlich-demokratischen Republik!

Wir möchten uns auf Fragen konzentieren, die sich für uns aufgrund dieses Vorfalls ergeben und die uns als Bürger dieses Landes, als Einwohner des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte sowie als Freund und Gast Ihrer Region, sehr bewegen, schockieren und ein wenig ratlos zurücklassen. Diese Fragen stellen wir der guten Ordnung halber auch als Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz und bitten um Beantwortung innerhalb der gesetzlichen vorgesehenen Fristen.

Lieber Herr Kärger, dies sind unsere Fragen:

  • Laut dem Einsatzleiter der Polizei vor Ort, Herrn Rusch, erging die Anordnung, dem Bus inkl. Insassen die Weiterfahrt in MV zu verweigern, durch Sie. Ist dies zutreffend?
  • Wenn nein, wie kommt Herr Rusch zu dieser Aussage und was unternehmen Sie, diese klarzustellen?
  • Wenn ja, warum glauben Sie, dass Ihre Anordnung zulässig ist?
  • Wie stehen Sie zu dem Eindruck, dass durch die polizeiliche Maßnahme ein politisches Exempel an den Betroffenen statuiert werden soll? Denn die Vielzahl an anwesenden Beamten hat während der rund vierstündigen Aktion keine einzige weitere Kontrolle durchgeführt, so dass man annehmen muss, dass es sich ausschließlich um eine Einzelfallmaßnahme handelte.
  • Wieso soll es für einen Bürger hinnehmbar sein, dass eine Landesverordnung vollständig die Grundrechte, die im Grundgesetz verbrieft sind, aushebelt?
  • Wie stehen Sie dazu, dass auch die EU-Grundrechtecharta durch diese Aktion der Polizei verletzt wurde?
  • Wieso gehen Sie davon aus, dass die Ausnahmetatbestände der Corona-Verordnung in diesem Fall nicht anwendbar waren? Bitte stellen Sie dies für jede einzelne der von den Betroffenen angeführten Ausnahmetatbestände dar.
  • Finden Sie die Androhung von Gewalt durch die Polizei verhältnismäßig, rechtskonform und angemessen?
  • Wie stehen Sie zur Einschränkung der Grundrechte durch diesen Vorfall, insbesondere vor dem Hintergrund des 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls? Ist dies eine gewünschte politische Botschaft Ihres / unseres Landkreises an die Bürger in Deutschland? Wollen Sie wieder Mauern errichten?
  • Glauben Sie, dass durch das gestrige Handeln tatsächlich eine positive Wirkung auf das Infektionsgeschehens im Landkreis stattgefunden hat? Immerhin fand in Neubrandenburg dennoch eine Demo statt und viele Menschen, Bürger und Polizisten, mussten unverständlicherweise mehrere Stunden in der Kälte ausharren, was der Gesundheit der Menschen sicher nicht förderlich war. Sie dagegen haben wahrscheinlich den Abend im Warmen verbracht. Glauben Sie wirklich, dass von diesen 5 Menschen und ihrem Bus eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ausgeht?

Lieber Herr Kärger, die von uns aufgeworfenen Fragen bewegen viele Menschen im Land, nicht nur in Ihrem Landkreis. Die Ereignisse gestern in Ihrem Landkreis haben eine bundesweite Signalwirkung. Als Bürger sind wir schockiert über das Verhalten des leitenden Beamten vor Ort und der Haltung, die darin zum Ausdruck kam. Wir dachten bislang immer, dass wir in einem Rechtsstaat leben, eine freiheitlich-demokratische Grundordnung haben und auch die vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden ist. Willkürliche Maßnahmen, politische "Einzelmaßnahmen" nach Gutsherrenart gehören für uns - und hoffentlich auch für Sie! - nicht dazu.

Wir können nur hoffen, dass die Gerichte hier eine deutliche Sprache sprechen werden. Ungeachtet dessen steht hier auch eine politische Würdigung im Raum. Für uns als Bürger sind solche Beamte wie Herr Rusch und Politiker wie Sie eine große Gefahr für unsere Demokratie. Bitte gehen Sie in sich und prüfen Sie, ob Ihre Entscheidungen wirklich mit unserer Verfassung im Einklang stehen.

Das heute 500 Juristen aus ganz Deutschland für den 10.11.2020 zur "antifaschistischen Sternfahrt" nach Schwerin aufrufen, sollte Ihnen zu denken geben. Wehret den Anfängen!

Mit freundlichen Grüßen

Manfred Hübner
Limburg / Lahn, Hessen

Thomas Beckmann
Klink an der Müritz, Mecklenburg-Vorpommern

Coronamaßnahmen, Grundrechte, Rechtliches, Reisebeschränkungen