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Wenn zwei das Gleiche tun ...

... dann ist es noch lange nicht dasselbe. Diese Erfahrung müssen vor allem Kritiker der aktuellen Regierungspolitik inzwischen regelmäßig machen. Besonders nachteilig ist es aber, wenn auch die eigentlich "blinde Justitia" ihr Handeln dann doch am Ansehen der Person ausrichtet. Beliebt ist dabei die Anwendung des §130 des Strafgesetzbuches (StGB), der die "Volksverhetzung" unter Strafe stellt. Ein aktueller Fall aus Herborn wirft ein Schlaglicht auf eine Schlagseite.

"Querdenker klatschen"

Ausgangspunkt für unseren aktuellen Artikel ist ein ziemlich geschmackloser Instagram Post des SPD-Herborn-Vorstandsmitglieds Tino Lingenberg. Am "Heiligen Abend" 2022 gegen 4 Uhr morgens trieb ihn nämlich nicht die christliche Nächstenliebe sondern die Wut auf "Querdenker" um. Eine Wut auf Menschen, die während der sog. Corona-Pandemie gegen die inzwischen als weitgehend untauglichen staatlichen Repressionen und für Grundrechte friedlich protestierten. Ende 2022 waren bereits viele Märchen der Regierung enttarnt Vielleicht hatte das Lingenberg in Rage gebracht?

Jedenfalls gefiel ihm, was die Band "Kafvka" musikalisch zum Ausdruck brachte. "Querdenken klatschen" heißt es in dem Song und das kann man als Betroffener schon als Gewaltaufruf verstehen.

Konkret heißt es bei Lingenbergs Post: "Immer noch besser, als sie marschieren zu lassen. Und mit Naziparolen ein'n auf Spaziergang zu machen. Querdenker klatschen, Querdenker klatschen"

Die Worte hat Lingenberg nicht selbst erdacht, sich dieser aber in seinem Beitrag sehr wohl zu Eigen gemacht. Zudem ergänzte er die Textzeile mit einer Ortsmarkierung auf die Gaststätte "Unikat", dem Ort sowohl der verwendeten Foto-Aufnahme von Lingenberg (sein Post bestand aus einem Foto samt Text; liegt der Redaktion vor), als auch der Treffpunkt der Initiative "Herborn Steht Auf", die als "Querdenker-Truppe" Lingenberg und vielen seiner Parteigenossen ein Dorn im Auge war (und ist). Solche "Feindmarkierungen" können schnell mal zu unbedachten Gewaltaktionen der Antifa-Szene führen. Umgekehrt gelten allein solche Feindmarkierungen schon als Straftat. Wehe ein linker Politiker würde von einem "Rechten" so markiert werden...

Hass und Hetze

Wir erinnern uns: Es sind auch Lingenbergs Parteifreunde, die sich lautstark über "Hass und Hetze" im Netz beschweren. Welchen Beitrag zu einer friedlichen Netzkultur wollte also Lingenberg mit seinem Instagram Post am Heiligen Abend leisten?

Entlarvend ist die Stellungnahme der SPD Herborn zu diesem "Vorfall", welche am 19.01.2023 veröffentlich wurde. Einige "Highlights" aus diesem Pamphlet:

Zum einen versucht man das Posting herunterzuspielen, es sei ja nur "einige Stunden" online gewesen und nur einem kleinen Kreis zugänglich gewesen. Der Kreis war immerhin groß genug, dass auch die "Querdenker" das Post sehen konnten. Außerdem sollte man sich bei der SPD schon einmal fragen, welchen obskuren Kommunikationsstil ihr Vorstandsmitglied Lingenberg so pflegt. Am Heiligen Abend, um 4 Uhr.

Weiter spricht die SPD Herborn von einer "unathorisierten Handlung", das Post öffentlich zu machen. Das Dokumentieren und zur Anzeige bringen von potentiellen Gewaltaufrufen ist also eine "unauthorisierte Handlung"? Echt jetzt, SPD? Und ihr wollt die "Meldestelle gegen Hass und Hetze" wirklich einrichten?

Dann folgt noch ein bisschen "ihr seid auch doof", Mimimi und das Relativieren des problematischen Inhalts, was die übliche Verteidigungstaktik linker Gruppen ist. Eine Taktik, die man den anderen allerdings niemals durchgehen lässt. Doppelmoral lässt grüßen. Das Schriftgut endet, ohne dass man bei der SPD Herborn auch nur eine Zeile finden würde, wo man sich von solchen Geschmacklosigkeiten distanzieren würde, diese verurteilt oder gar Verstädnis für die Betroffenheit der Angegriffenen hätte. Leider muss man diese Haltung bei Genossen als typisch ansehen.

Aber auch die Staatsanwaltschaft Limburg wollte keinen Beitrag zu einer besseren Diskussionskultur im Netz leisten und stellte nach rekordverdächtig kurzer Bearbeitungszeit fest, dass man gegen Lingenberg nicht ermitteln werde und keinen Anfangsverdacht einer Straftat sähe. Verantwortlich für diese Entscheidung war für uns kein Unbekannter, sondern der damalige Oberstaatsanwalt von Limburg, Dominik Mies, den es inzwischen als Pressesprecher nach Frankfurt verschlagen hat.

Man braucht nicht viel Fantasie und vor allem keine ungerechtfertigte Voreingenommenheit gegenüber der Limburger Staatsanwaltschaft, um zu mutmaßen, dass es wohl nicht zu einer so schnellen und geräuscharmen Einstellung gekommen wäre, hätte ein "Querdenker" ähnliches über die SPD geäußert. Jedenfalls kam die Einstellungsentscheidung beim Anzeigenerstatter Thomas Espey, Kopf der Initiative "Herborn Steht Auf", nicht gut an. Auf einer Demonstration am 16.01.2023 in Herborn empörte sich Espey über Lingenbergs Post und die Behandlung seiner Anzeige durch die Limburger Staatsanwaltschaft.

Vor allem sah er seinen Freund Toni, den Wirt des Unikats, und seine Gastwirtschaft aufgrund der "Feindmarkierung" Lingenbergs gefährdet. In seiner Rede auf dem Herborner Marktplatz sagte Espey:

"Dieser Post des SPD Vorstandsmitglieds fühlte sich für mich an, wie ein Aufruf an die Antifa und die Bevölkerung Herborns, um zu suggerieren, hier ist ein Nazi-Treff. Abgesehen davon, dass hier ein ausländischer Mitbürger angegriffen wird und dieser Post absichtlich geschäftsschädigend in die Welt gesetzt wurde. Das ist für mich wie Reichskristallnacht durch die Hintertür. Was ist, wenn sich hier plötzlich jemand dazu berufen fühlt einen Molotow-Cocktail zu schmeissen! Hat sich dieser SPD Mann darüber mal Gedanken gemacht?"

Ob die Staatsanwaltschaft Limburg den ganzen Absatz, also auch den Kontext der Rede, zur Kenntnis genommen hat, wissen wir nicht. Vorliegen tut diese Rede in Auszüge auch als Video bei der hessencam. Es ist offenkundig, dass es Espey in seiner Rede weder um eine Gleichsetzung mit den Nazi-Verbrechen, noch um eine Verharmlosung oder gar Billigung dieser Verbrechen geht. Vielmehr betont er im Laufe der Rede, dass er vor den Gefahren für ein gewaltfreies Miteinander warnt, wenn Hass- und Hetze und politisch motivierte Gewaltaufrufe wieder Einzug in unsere Gesellschaft halten. Ausdrücklich spricht sich Espey für den Schutz von ausländischen Mitbürgern aus.

Ritas Anzeige

Dennoch wurde Espey bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Die Anzeigenerstatterin ist für Espey keine Unbekannte. Es handelt sich um die einschlägig bekannte, allerdings nicht sonderlich beliebte Rita R.. Diese hat Espey schon einmal das Leben mit einer Anzeige schwer gemacht. Ebenfalls am Heiligen Abend, im Jahre 2021, fühlte sie sich von einer Lichterkette in Herborn gestört, die Espey für Menschen organisierte, die als sog. "Impfverweigerer" von der Gesellschaft oder sogar der eigenen Familie an Weihnachten ausgegrenzt wurden. Diese Intoleranz der Toleranten kostete Espey damals 750 Euro. Frau R. legt aber auch schon einmal Flyer von "Herborn Steht Auf" in einen Hundehaufen und fotografiert das Fäkalienkunstwerk dann. Eine geschmackssichere Person!

Im Gegensatz zu Espeys Anzeige des Herrn Lingenberg wurde Ritas Anzeige aber nicht zu den Akten gelegt, sondern stattdessen ein regelrechter Bürokratie-Tsunami in Ganz gesetzt. Statt sechs Tagen beschäftigt der Fall noch heute die Limburger Staatsanwaltschaft. Diese sieht nämlich in den Äußerungen Espeys eine Volksverhetzung (§130 StGB). Oder besser gesagt, sie will sie sehen. Und anstatt nach mehrmaligen ausführlichem Schriftwechsel mit dem Beschuldigten die Unangemessenheit ihres Tuns einzusehen, beharrt die zuständige Staatsanwältin auf einer Geldauflage von 250 Euro, ohne die ihr eine Einstellung nicht möglich sei. Fast könnte man meinen, die Staatsanwaltschaft müsse ihren Bearbeitungsaufwand irgendwie wieder einspielen.

Gegenwehr

Espey gibt aber nicht klein bei. Warum auch? Ein bedeutender Rechtsprofessor, dem Espey den Fall schilderte, pflichtet ihm bei:

"Soeben habe ich mir die Unterlagen angesehen. Ich kann natürlich nicht vorhersehen, wie ein Gericht entscheiden wird, gerade in der heutigen Situation, in der im Äußerungsstrafrecht mit zweierlei Maß gemessen wird. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, Sie sollten nicht bezahlen, sondern es auf einen Prozeß ankommen lassen. Denn der Flyer der SPD ist ein widerwärtiger Gewaltaufruf, der, wenn er befolgt würde, zu einem Pogrom gegen "Querdenker" (wer oder was auch immer damit gemeint ist) führen. Und die SPD ließe sich in einer öffentlichen Hauptverhandlung dramatisch bloßstellen, wenn dieser Flyer in Augenschein genommen wird (was ja dann zwingender Bestandteil der Beweisaufnahme wäre)."

Espeys Meinungsäußerung, welche von der Staatsanwaltschaft als Volksverhetzung angesehen wird, hat mit Lingenbergs vorhergehender Aktion einen - selbst von der Staatsanwaltschaft als geschmacklos bezeichneten -  Kontext und ist deshalb alles andere, als eine Verharmlosung von Nazi-Verbrechen. Zumindest ist dies unser Eindruck. Vergleichen heißt nämlich nicht gleichsetzen! Jedem Zuhörer am 16.01.2023 in Herborn war klar, dass Espey damit nicht ausdrücken wollte, dass die Lage heute schon so wie zur Reichskristallnacht 1938 ist. Man beachte allein schon die Relativierung der Aussage selbst - und den Kontext! Aber er sah die Gefahr, dass solches Verhalten, wie es von SPD-Vorstand Lingenberg vorgelebt wurde, eine ungute Eigendynamik enwickeln kann, die zu sehr gefährlichen gesellschaftlichen Zuständen führen kann. "Wehret den Anfängen!", so wurde es "unserer" Generation noch beigebracht.

Sind alle gleich?

Unsere Redaktion erfuhr von Espeys Kampf gegen eine Staatsanwaltschaft mit Verfolgungseifer. Auch wir konnten es nicht glauben, was hier als rechtliche Einschätzung ins Feld geführt wird. Und wir erinnerten uns, dass wir das Wort "Kristallnacht" schon einmal hörten. Am 20.01.2024 auf der "Demo gegen rechts" hielt Limburgs Bürgermeister Dr. Marius Hahn auf dem Domplatz eine Rede. Dort tätigte er die Aussage (bei Minute 4:50):

"Es ist wieder täglich Kristallnacht."

Im Gegensatz zu Espey wird hier nicht ein Gefühl oder eine Sorge beschrieben. Dr. Hahn formuliert es als Fakt, dass wir täglich einen Progrom auf dem Level einer Reichskristallnacht hätten. Wir würden ihm diese Aussage durchgehen lassen, denn auch hier erkennen wir durch den Kontext, dass der Aussage Hahns eine Sorge vor "rechten Umtrieben" zugrunde liegt. "Wehret den Anfängen!"

Wir haben deshalb die Staatsanwaltschaft Limburg zu den Sachverhalten und ihrer Rechtsauffassung befragt. Zur Einstellung der Anzeige Lingenberg heißt es lapidar, dass man keine strafbare Handlung erkenne. Zum Fall Espey schweigt man sich komplett aus.

Und zum "Fall Dr. Hahn"? Hier heißt es:

"Der Sachverhalt betreffend Dr. Hahn vom 20.01.2024 war hier bisher nicht aktenkundig. Die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens wird derzeit geprüft."

Da sind wir aber mächtig gespannt, ob der Auftritt von Dr. Hahn ihn auch mindestens 250 Euro kosten wird. Wir bleiben selbstverständlich dran, würden uns aber nicht wundern, wenn man die weitere Ermittlung in dieser Causa irgendwie nicht so recht voranbringen würde.

Fazit

Thomas Espey wird sich hoffentlich dagegen wehren, die von ihm eingeforderte Geldauflage zu bezahlen. Dieser Fall sollte gerichtlich geklärt werden, auch wenn dies bedeutet, dass es vermutlich mehr als einer Instanz bedarf, ehe die Meinungsfreiheit zu ihrem Recht gelangt. Wir werden den Prozess gerne begleiten. Zum einen um festzustellen, was Recht ist. Und zum anderen um festzustellen, ob die Staatsanwaltschaft tatsächlich den Bürgermeister von Limburg wegen Volksverhetzung beschuldigen wird.

Unserer Auffassung nach sollte Dr. Hahn nicht bestraft werden. Thomas Espey aber auch nicht.

Exkurs: Noch ein Beispiel des Thomas Espey

Wie gerne Limburgs Behörden vergleichbare Sachverhalte, abhängig von der Person des Beschuldigten, ungleich behandelt, hat Thomas Espey schon einmal erfahren. So wurde ihm zur Last gelegt, er hätte auf einer Demo einmal die Auflagen nicht korrekt verlesen. Das kostete Espey 250 Euro plus eigene Anwaltskosten.

Als der Versammlungsleiterin Viktoria Spiegelberg-Kamens selbiges Missgeschick im Januar 2024 auf ihrer "Demo gegen rechts" unterlief, hatte dies für sie, Espeys Kenntnis nach, keine negativen Konsequenzen. Zumindest wurde Espeys diesbezügliche Anzeige sowohl vom Ordnungsamt Limburg als auch von der Limburger Polizei nicht weiterverfolgt. Ob dies damit zusammenhing, das Frau Spiegelberg-Kamens nicht nur engagierte Demoorganisatorin sondern auch Angestellte der Stadt Limburg ist, konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Ein Geschmäckle bleibt aber, wenn gleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden.

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